Städtepartnerschaftsverein lud zum Vortrag mit Ingo Espenschied
Der Städtepartnerschaftsverein Butzbach e.V. hatte in Zusammenarbeit mit der Stadt Butzbach zu einem besonderen Vortrag in das Butzbacher Bürgerhaus geladen. Gefördert vom Bundesprogramm „Demokratie Leben!“ konnte der Diplom-Politologe Ingo Espenschied für einen Vortrag durch die spannende Reise der deutsch-französischen Beziehung gewonnen werden.
In Vertretung der Stadt und des Städtepartnerschaftsvereins begrüßte Claudia Laiacker, zuständig in der Stadtverwaltung für die Butzbacher Städtepartnerschaften, die Zuhörer. Der Beginn war so gelegt, dass auch die Butzbacher Schulen den Vortrag besuchen konnten. So konnte sie ca. 300 Schülerinnen und Schüler mit ihren Lehrerinnen und Lehrern zu dem Vortrag begrüßen.
Im Anschluss übergab sie das Wort an Ingo Espenschied. Der Politikwissenschaftler, der in Mainz, Paris und London studiert hat, ist ein ausgewiesener Kenner der deutsch-französischen Beziehungen. Auf sehr anschauliche und informative Weise schafft er es immer wieder, die Zuhörer zu fesseln und die Geschichte durch Anekdoten, historische Bilder und Wochenschauberichte sowie Ausschnitte aus Zeitzeugeninterviews als ein Event erleben zu lassen. Zu Beginn ging er auf den Begriff der „Erbfeindschaft“ der beiden Länder ein und erläuterte, wie auch sein Vater, der 1906 geboren wurde noch auf seinen Wunsch in Frankreich zu studieren direkt vom „Erbfeind“ sprach. Dieser Sprachgebrauch war in seiner Zeit in die Wiege gelegt und spielte auch eine zentrale Rolle auf dem Weg zu den großen europäischen Kriegen.
Danach erläuterte er den Weg der beiden Länder. Die Geschichte beginnt vor über 1000 Jahren. 774 hatte Karl der Große, der in Frankreich Charlemagne heißt, seine Kaiserpfalz in Ingelheim am Rhein gegründet. Unter ihm gelangte das Frankenreich zu seiner größten Ausdehnung. Als 843 dieses Reich unter seinen Nachfahren aufgeteilt wird, entsteht das Ost- und Westreich und in der Mitte Lotharingen. Bereits hier bilden die Reichsgrenzen gleichzeitig eine Sprachgrenze aus. Bis zu Ludwig XIV. bleibt es auf den beiden Seiten ruhig. 1688 führt der Pfälzische Erbfolgekrieg zum Einmarsch Ludwig XIV in Süddeutschland und der erste Hass auf die Franzosen entsteht in Deutschland. Frankreich dominiert in dieser Zeit Europa, während Deutschland eher als romantisch empfunden wird. Mit Beginn der französischen Revolution 1792 und bis zum Ende der Herrschaft von Napoleon 1815 werden die französischen Truppen nicht nur als Befreier, sondern auch als Besatzer empfunden. Auf deutscher Seite wächst der Wunsch nach Revanche, dies führt zum Deutsch-Französischen Krieg 1870 und in der Folge zu einem Hass der Franzosen gegen Deutschland. Mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs am 18.01.1871 wird Deutschland das starke Land in Europa und damit die Saat zur „Erbfeindschaft“ gelegt.
Nach dieser geschichtlichen Zusammenfassung erläutert Espenschied im Anschluss die Stationen im Leben von General de Gaulle, mit besonderem Bezug zu Butzbachs Partnerstadt St. Cyr l’Ecole, wo er die Militärschule besuchte und später auch lehrte. De Gaulle, der sehr gut deutsch konnte, hatte als Schüler die „wichtige Sprache des Feindes“ gelernt. Er verbrachte einen Schüleraustausch in Deutschland und musste nur acht Jahre später als Soldat im 1. Weltkrieg sowie später im 2. Weltkrieg gegen Deutschland kämpfen.
Nach Erläuterungen zur politischen Entwicklung Adenauers, der bereits 1917 Oberbürgermeister in Köln wurde und 1949 zum ersten Bundeskanzler gewählt wurde, ging Espenschied auf die rasante Entwicklung der Aussöhnung nach dem 2. Weltkrieg ein. Auf Bestreben Adenauers begann bereits Anfang der 1950er Jahre in Zusammenarbeit mit dem aus Lothringen stammenden französischen Außenminister Robert Schumann der Weg der Aussöhnung. Deutsche und Franzosen reichen sich die Hand und wollen mit der Gründung der Montanunion 1950 und des Schumann-Plans 1951 zusammenarbeiten. Nachdem sich das Saarland 1956 für die Zugehörigkeit zu Deutschland entschied, sind alle Gebietsansprüche und damit die Basis für eine weitere Zusammenarbeit geklärt. So treffen sich 1958 Adenauer und De Gaulle in Frankreich, ohne großes Protokoll, auf de Gaulles privatem Anwesen. Die Anekdoten über dieses und weitere Treffen werden beim Zuhörer in Erinnerung bleiben, wie zum Beispiel de Gaulle das Eis brach und die Deutschen überraschend lobte und sich beide später zu einem Mittagsschlaf zurückzogen, bevor sie am Nachmittag das Treffen unter vier Augen fortsetzten.
In den folgenden fünf Jahren gibt es regelmäßige Deutsch-Französische Gipfel, die später im Élysée-Vertrag 1963 auch festgeschrieben werden. Als de Gaulle im September 1962 zu einem 6-tägigen Staatsbesuch durch Deutschland reist, wird er überall begeistert empfangen. Man spricht inzwischen von der Deutsch-Französischen Freundschaft!
Es mündet in den Élysée-Vertrag im Januar 1963, der die Zusammenarbeit auf dauerhafte Füße stellt. Es ist ein Jahrhundertvertrag, der von Adenauer geplant war, aber seine Diplomaten waren nicht eingeweiht. So wurde französisches Urkundenpapier genutzt, der Text über Nacht abgetippt, eine Mappe schnell in Paris besorgt und mit schwarz-rot-goldenem Geschenkband versehen. Aus diesem Vertrag entwickelte sich auch die Basis und Zusammenarbeit der Zivilgesellschaft, es gibt inzwischen über 2400 Städtepartnerschaften zwischen den beiden Ländern, das deutsch-französische Jugendwerk wurde gegründet und es gibt keine zwei Länder auf der Welt die sich so nah sind wie Deutschland und Frankreich. In Fortführung des Élysée-Vertrags wurde 2019 der Aachener-Vertrag von Emanuel Macron und Angela Merkel unterzeichnet. Dieser ist ausführlicher und soll die Zivilgesellschaften noch weiter zusammenwachsen lassen.
Zum Abschluss richtete Espenschied das Wort an die Jugendlichen, dass man die Franzosen nicht lieben muss, aber man muss immer wissen, wie wichtig unsere Beziehungen zueinander sind. Nur wenn Deutschland und Frankreich sich verstehen, ist ein Fortschritt in Europa möglich. Es muss klar sein, dass die Beziehungen unserer Länder auch immer eine Auswirkung auf ganz Europa haben und so endet er mit einem Appell, die Europawahl im kommenden Jahr ernst zu nehmen und wählen zu gehen, besonders an die Jugendlichen gerichtet, die bereits mit 16 Jahren an der Europawahl teilnehmen dürfen. In Zeiten zunehmender Nationalismen unterstreicht Espenschied, dass die Europawahl genauso wichtig ist wie die Bundestagswahl. Unter großem Applaus der Zuhörerschaft und mit dem Hinweis, dass auch nächstes Jahr ein Vortrag geplant wird, der dann das Thema „75 Jahre Grundgesetz“ behandelt, wurde Espenschied verabschiedet.