Jüdische Nachfahren aus Argentinien besuchten Butzbach
Besonderen Besuch empfing Butzbachs Bürgermeister Michael Merle dieser Tage: Mitglieder der Familie Nelkenstock-Wertheim-Lubelski aus Argentinien, die im Rahmen der Begegnungswoche am Projekt „Jüdisches Leben Frankfurt“ teilnahmen, haben kürzlich Butzbach und Langsdorf bei Lich besucht. Alle Familienmitglieder emigrierten 1937 nach Argentinien.
Hintergrund: Isaak Nelkenstock, geb. 1877 in Tann in der Rhön, war Kaufmann in Langsdorf bei Lich und zog im Juni 1937 nach Butzbach (Hindenburg-Allee, Taunusstraße 4). Herr Nelkenstock besaß in Butzbach das Möbelgeschäft „Möbel und Maschinenfirma Ferdinand Kahn, Zweigniederlassung jenes in Langsdorf. Geleitet wurde das Haus von seinem Schwiegersohn, Herrn Willy Wertheim, geb. 1899 in Dimmerode/ Diemerode – ein mit Orden dekorierter Soldat des Ersten Weltkrieges. Aus dem Telefonbuch 1928 geht hervor: „Filialleiter“ der Zweigstelle „Möbel- und Maschinenfirma Ferdinand Kahn“, Wetzlarer Str. 20 in Butzbach. Herr Wertheim wollte Deutschland nicht verlassen, selbst als das Geschäft mit Judenstern und „Kauft nicht bei Juden“ bemalt wurde. Seine Ehefrau Hedwig plädierte für eine Auswanderung – ansonsten gehe sie allein. Auch ein Butzbacher Pfarrer (1926 – 1939, Friedrich Otto Lindenstruth) rät dringend von einem Bleiben in Butzbach ab.
Isaak Nelkenstocks Ehefrau Sidonie (genannt „Sidi“) Nelkenstock geb. Kahn, geb. 1880 in Langsdorf, verstarb im Juli 1937 im Alter von 56 Jahren in Butzbach. Ihr Grabstein ist bis heute auf dem jüdischen Friedhof in der Kernstadt erhalten. Isaak Nelkenstock emigrierte im Dezember 1937 mit der Familie der Tochter (Hedwig Nelkenstock) nach Argentinien – zusammen mit dem 4-jährigen Enkel Fritz (heute: Federico). Tochter Siddy und Schwiegersohn Rudolf Lubelski hatten es bereits nach Argentinien geschafft. Somit lebte die Familie nur im Jahr 1937 in Butzbach.
Herr Federico (früher: Fritz) Nelkenstock-Lubelski, geb. 1934, kehrte nun – nach knapp 85 Jahren – nach Butzbach zurück.
Bürgermeister Merle empfing die Gäste im Ratsherrensaal des Butzbacher Rathauses. Eine Besonderheit des Besuchs stellte auch die Anwesenheit von Herrn Andres Wertheim dar, Nachfahre von Willy Wertheim. Andres Wertheim fungierte als Übersetzer und hat mit seinem umfangreichen Wissen und seinen lebhaft dargestellten Erzählungen aus der damaligen Zeit die Veranstaltung bereichert und tiefen Eindruck bei den Teilnehmern hinterlassen.
Nach vielfältigen, interessanten Gesprächen sowie Vorträgen in die jüdische Geschichte Butzbachs durch Gästeführer Herrn Günter Bidmon trugen sich die Teilnehmer in das Goldene Buch der Stadt Butzbach ein. Anschließend erfolgte der Gang Synagogenplatz und zum Friedhof mit der Besichtigung des Grabsteines von Sidonie Nelkenstock.
Als Gastgeschenk überreichte Bürgermeister Merle der Familie je ein Exemplar des Familienbuches zur jüdischen Geschichte Butzbachs sowie des Buches „Handwerk in Butzbach“.
Für die Familie war die Stippvisite nach Butzbach eine „emotionale Reise in die jüngere Vergangenheit ihrer Familiengeschichte“, wie Bürgermeister Merle betonte.
Für die Familie ging es anschließend direkt weiter: Zu einem Besuch nach Lich-Langsdorf.