11.08.2021

Das Element Heilpflanzen – nach Sebastian Kneipp

Es ist das Sebastian-Kneipp-Jahr, am 17. Mai 2021 wäre Sebastian Anton Kneipp 200 Jahre alt geworden. Das Kneipp´sche Gesundheitskonzept hat an Aktualität nichts eingebüßt. Die Stärkung des Immunsystems ist wichtiger denn je. Das Sebastian-Kneipp-Jahr ist auch ein Appell für ein bisschen mehr Achtsamkeit. Kneipps unbeirrbarer Glaube und seine Hartnäckigkeit, die Gesundheit nicht der Krankheit unterzuordnen, werden wir mit jeweils einem Artikel zu seinen fünf Elementen würdigen.

Ein Strauß voller Gesundheit

Er liebt mich, er liebt mich nicht … statt in verzweifelter Sehnsucht die Blütenblätter der Gänseblümchen zu rupfen, könnte man sie auch verspeisen. Die Natur beschert uns ein sattes Angebot an Heilpflanzen. Dr. Heidi Braunewell aus Butzbach hat im Bereich Arzneipflanzen promoviert und ist überzeugt von Johanniskraut, Gänseblümchen und Co. Im Interview beschreibt sie die Vorzüge der Phytotherapie.

Welche Bedeutung hat die Phytotherapie?

In der Hausapotheke ist die Pflanzenheilkunde unschlagbar. In der Allgemeinmedizin nimmt sie leider nur einen kleinen Platz ein. Pflanzliche Arzneimittel wirken gut und haben, wenn überhaupt, nur geringe Nebenwirkungen. Phytotherapie unterstützt bei vielen Gesundheitsbeschwerden. Das schließt natürlich die Schulmedizin nicht aus. Kneipp sprach von über 40 verlassenen und vergessenen Kräuterlein.

Welche sind für Sie die drei wichtigsten?

An erster Stelle steht für mich der Thymian. Er wirkt antibakteriell, antiviral und nachgewiesenermaßen gegen multiresistente Keime. Ich träufele in meine FFP2-Maske immer einen Tropfen Thymianöl. Allerdings bekomme ich dann Hunger auf Pizza. An zweiter Stelle steht das Johanniskraut, über das ich auch meine Doktorarbeit geschrieben habe. Was viele nicht wissen, ist, dass Johanniskraut in geringer Dosis gegen Verstimmungen und leichte Depressionen wirkt und in dieser Dosierung frei von Wechsel- und Nebenwirkungen ist. Als drittes nenne ich den Lavendel. Er hat eine einschlaffördernde Wirkung, aktiviert die Verdauung und löst Ängste. Lavendel ist eine wunderbare Pflanze für den Abend. Kneipp empfahl, regelmäßig einen Bittertag einzulegen. Es gibt schmackhaftere Gemüsesorten als solche mit vielen gesunden Bitterstoffen. Wermuttee zum Beispiel soll furchtbar schmecken…

Wie gelingt der Einstieg?

Man könnte auf eine Wiese gehen und zwei bis fünf Gänseblümchenblätter zupfen und essen. Und Wermut muss nicht bitter sein, wenn man ihn sanft dosiert. Eine Messerspitze für eine große Tasse reicht. Auch Löwenzahn, Lavendel oder Schafgarbe enthalten Bitterstoffe. Wenn man täglich ein wenig von ihnen zu sich nimmt, zum Beispiel mit einem Kräutertee, bringt es mehr, als einmal die Woche sehr viel davon zu essen oder zu trinken. Kneipp hat sich zurecht für die Bitterstoffe stark gemacht. Sie sind nicht nur für die Verdauung, sondern für das gesamte vegetative Nervensystem gut, das heißt auch für die gute Laune. Man denke nur an den Volksmund: „Jemandem ist eine Laus über die Leber gelaufen“. Bitterstoffe regen die Lebertätigkeit an und vertreiben die sprichwörtliche Laus. Auch in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) spielen die Bitterstoffe eine große Rolle. Was vorher als Unkraut galt, wie zum Beispiel der Giersch, mutiert heute zum Superfood.

Zur Person: Dr. Heidi Braunewell, Phytotherapeutin (GPT) und Heilpraktikerin (www.coaching-butzbach.de) – sie hat im Bereich Arzneipflanzen promoviert. In ihrer Naturheilpraxis bietet sie Gesundheitsberatung und Lifestyle-Coachings an. Sie ist Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Phytotherapie und gibt Seminare an der Akademie Gesundes Leben.

Ist das derzeitige Interesse an Kräutern nur ein schnelllebiger Trend?

Ich hoffe auf eine Rückbesinnung auf das einfache Gute, also das Wissen, das man bereits seit vielen Jahrhunderten besitzt. Schon lange ist zum Beispiel bekannt, dass Giersch bei Gicht hilft und den Säure-Basen-Haushalt ins Gleichgewicht bringt. Giersch punktet mit großen Mengen an Mineralstoffen. Es ist eine Wiederentdeckung und ich würde mir wünschen, dass es immer mehr Menschen gibt, die die wissenschaftlich erforschte Wirksamkeit der Arzneipflanzen zum Bestandteil ihrer Medizin machen. Der gesunde Bärlauch ähnelt dem giftigen Maiglöckchen, die wohltuende Schafgarbe könnte ein Ungeübter mit dem Schierling verwechseln, der beim Verzehr tödlich sein kann.

Wo erhält ein Kräuterneuling eine seriöse Anleitung?

Man könnte beim Wetterauer Kräuternetzwerk nachfragen, um Fachleute kennenzulernen. Für Kräuterführungen und ähnliches gibt es bisher kein allgemein anerkanntes Siegel; dieser Bereich ist noch eine Grauzone. Die Gesellschaft für Phytotherapie beschäftigt sich mit einer Zertifizierung und baut gerade eine neue Gruppe assoziierter Mitglieder auf, die für Interessierte offen ist. Im Wetterauer Kräuterzirkel haben sich haupt- und nebenberuflich tätige Kräuterkundige und Gesundheitstrainer*innen zusammengeschlossen. Sie bieten in der TourismusRegion Wetterau beziehungsweise im neu gegründeten Kneipp Bäder 3Eck Wetterau erlebnisorientierte, sachkundige Kräuterführungen und Seminare zur ganzheitlichen Gesundheit an. Ein Kräuterbeet ist geplant.

Wie erkenne ich gutes Saatgut oder robuste Pflanzensorten?

Vorausschicken möchte ich, dass selbst angebaute Pflanzen bei Krankheiten helfen können – oder auch nicht. Der lateinische Name allein garantiert nicht, dass die eigene Ernte die richtigen Inhaltsstoffe in ausreichender Menge bietet. So kann es sein, dass beispielsweise Thymian in einem Jahr bei Erkältung wirkt und im nächsten Jahr nicht, weil das Wetter nicht entsprechend war. Wer möglichst sicher die erwünschte Wirkung erzielen möchte, sollte zunächst auf Pflanzen in überprüfter Arzneiqualität zurückgreifen. Die gibt es mit guter Beratung im Reformhaus und in der Apotheke. Wer sich auskennt, findet sie auch im Drogeriemarkt. Wenn man dann weiß, wie Thymian als Arznei wirkt, kann man die Pflanze aus seinem Garten probieren und dann die Wirkung vergleichen. Insbesondere die Klöster transportierten das Wissen über Kräuter- und Wildpflanzen.

Wenn Sie die Hauptaussage der Kräuterexperten wie Sebastian Kneipp oder Hildegard von Bingen in zwei Sätze fassen sollten, wie würden diese lauten?

Die Kräuter- und Heilpflanzen sind eine unverzichtbare Grundlage für das medizinische Wissen, das wir heute haben. Sehr viele synthetische Arzneimittel haben Pflanzensubstanzen als Grundstoff oder Vorbild. Es ist schade, dass die moderne Schulmedizin diesen Erfahrungsschatz so wenig anerkennt und dieser im Vergleich zu einer randomisierten, doppelblinden, Plazebo-kontrollierten klinischen Studie so wenig gilt. Das wird sich hoffentlich ändern.

Das Echte Mädesüß

Man übersieht gern das, was direkt vor der Haustüre wächst. Zu diesen Pflanzen gehört das Echte Mädesüß. Es führt ein recht zurückhaltendes Leben an Gräben oder in Feuchtwiesen. Woher kommt der Name? Eine These: Die Blätter des Rosengewächses wurden früher zum Süßen von Met verwendet. Auch heute findet Mädesüß Verwendung in Teemischungen oder wird zum Aromatisieren verwendet.

Acetylsali-… wie bitte?

Was hat Mädesüß mit einem bekannten Kopfschmerzmittel am Hut? Aus den Blütenknospen wurde lange Zeit Salicylaldehyd gewonnen. Der Wirkstoff ist als entzündungshemmend bekannt und wird heute in abgewandelter Form als synthetisch hergestellte Acetylsalicylsäure verkauft. Das Echte Mädesüß ist quasi Taufpate des Markennamens Aspirin. Das „A“ steht für Acetyl. Das „spirin“ ist eine Ableitung des Begriffs „Spiraeasäure“.


Buch-Tipp: Pfarrer Kneipp’s-Heilpflanzen-ABC im Gesundheitsgarten Bad Nauheim

Die wichtigsten Heilpflanzen auf einen Blick und nach Anwendungsgebieten ge­gliedert; praktisches kleines Ringbuch, kartoniert, mit vielen Bildern. Erhältlich beim Kneipp-Verein Bad Nauheim-Friedberg-Bad Salzhausen,Nördlicher Park 6, 61215 Bad Nauheim, Tel.: 06032-9370565, kontakt@kneipp-bn.de


Termin vormerken: 1. Butzbacher Sebastian Kneipp Tag –

200 Jahre Sebastian Kneipp– aus diesem Anlass ruft die Stadt Butzbach den 1. Butzbacher Sebastian Kneipp Tag ins Leben. Am Samstag, den 14. August 2021 wird von 14.30 bis 17.30 Uhr, gemeinsam mit dem Kneippverein Bad Nauheim / Bad Salzhausen / Friedberg, der TourismusRegion Wetterau und vielen Butzbacher Kneipp-Freunden, der Schlosspark in ein Kneipp-Mitmach-Areal verwandelt. Alle – Groß und Klein – sollten sich diesen Termin im Kalender schon mal vormerken, damit Sie an diesem Nachmittag die fünf Elemente nach Kneipp mit allen Sinnen kennenlernen können.